Weihnachtsschmuck & Feuerwerk

Eine Demonstration in Frankreich? 

Und dann auch noch am internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen? 

Hauen sich da nicht immer alle?

 

 

So absurd dieser Kontrast klingen mag - Die Bilder von brutalen Demonstrationen, wie zum Beispiel 2016 während dem SNCF-Sreik in Paris, haben sich mir zumindest, ins Gedächtnis eingebrannt. Daher war ich umso überraschter, als wir uns zwischen den, bereits seit Oktober hängenden und doch recht albern wirkenden Lichterketten, am Alten Hafen trafen und friedlich sowie ohne Zwischenfall durch die Straßen laufen konnten. Meine Mitbewohner:innen erklärten mir, dass dies untypisch sei und wiesen auf die angespannte Lage vor den französischen Präsidentschaftswahlen im April 2022 hin. Ein Zwischenfall würde provozieren und anstacheln.

 

[Am Ende dieses Artikels findet sich eine Slideshow mit Bildern der Demonstration. Danke Marie für die starken Bilder!]

 

Rückblick 

2016 wollte ich eine Fahrradtour an der französischen Atlantikküste machen und fuhr mit dem Flixbus nach Paris um von dort ans Meer zu gelangen. Die Strecke durch die Stadt, mit voll beladenem Fahrrad vom Bahnhof Gare-Est zum Gare Montparnasse ist verkehrstechnisch absolut unbefahrbar.

So landete ich nach lautem Fluchen vor dem überfüllten Gare Montparnasse und wunderte mich.

20er- Gruppen von bewaffneten Polizisten patroullierten durch die Eingangshalle.

Alle Menschen waren sehr höflich und entspannt: Die Schaffner waren entspannt, da es ein Fakt war, dass sie nicht fuhren. Die Fahrgäste waren entspannt, da Fakt war, dass nichts fuhr.

 

Naja fast.

 

Am Ticketschalter ließen sich die Fahrten umbuchen, umtauschen oder stornieren. Da mein Zug nach Nantes entfiel, versuchte auch ich mein Glück. Innerhalb von drei Stunden tauschte ich mein Ticket zweimal um.

Die Züge wurden immer wieder gestrichen oder auf den nächsten Tag verschoben. 

Ich hatte genug und schob mein beladenes Fahrrad vor den Bahnhof, kettete es an und telefonierte mit einer Freundin. 

Als ich mich nach einigen Minuten kurz Richtung Bahnhof umdrehte, rutschte mir das Herz in die Hose.

 

Mein Fahrrad war nicht mehr zu sehen gewesen. Mindestens 300 Polizist:innen hatten sich vor dem Eingang schwer bewaffnet aufgestellt. Sie bewegten sich nicht. Sie standen einfach nur da. Man hätte theoretisch noch hindurch gehen können, durch die Reihen von Polizist:innen. (Die Bilder sind nach der Auflösung entstanden, als sich alles ein wenig beruhigt hatte).

Manchmal stelle ich mir vor, was passiert wäre, hätte ich versucht das Fahrrad abzusperren und mein Packeselchen durch die Reihen zu schieben.

Ich hatte mich auf einen großen Stein gesetzt und das Geschehen beobachtet. Mein Gepäck sollte möglichst vollständig mit mir weiterreisen.

Plötzlich Bewegung in der Masse. Mehrere Polizist:innen griffen sich ans Ohr, sprachen etwas in kleine Mikrophone, welche an ihren Schusswesten befestigt waren. Und da kamen sie: Eine Grupppe von ca. 50 Schaffner:innen, Zugpersonal und Schalterverkäufer:innen - mit großen Plakaten und Trillerpfeifen. 

Alles in allem dauerte die Demonstration nicht mal fünf Minuten. So lange brauchten die Polizist:innen, um die Demonstrierenden nieder zu knüppeln. 

 

Ich stand verwirrt vor dem großen Stein. Gedanken wie "Ohjeh ich muss denen helfen." oder "Jemand muss die Polizei holen, da passiert gerade Unrecht" schossen mir durch den Kopf. Doch keine Chance. Es hatte keinen Aufruf gegeben, keine Vorwarnung.

Mit Sicherheit hatte ich damals auch nicht alles verstanden. Was ich weiß ist, dass es wahnsinnig schnell ging.

 

Als ich wenig später mein Fahrrad abkettete und in den Bahnhof schob, zeigte die Zuganzeige einen Zug nach Bordeaux an. Die Abfahrt sollte in wenigen Minuten stattfinden. Bordeaux war eigentlich der Zielort der Tour gewesen. 

Ich rannte los, doch mein Fahrrad war unhandlich. So stellte ich mich auf ein Pedal und schob es wie einen Roller an. Das Sicherheitspersonal brüllte mir hinterher.

Komplett außer Atem landete ich vor einem Schaffner, der mir erklärte, dass es (damals) nicht möglich war, ein Fahrrad mit dem TGV mitzunehmen. Es gab schlicht keinen Platz zwischen Einstiegsabteil und Wagon.

Ich schnappte nach Luft. Warf mit Brocken von Französisch um mich. Und er?

 

" Oh mon dieu. Je déteste mon chef de toute façon et aujourd'hui est un jour spécial, quoi?

Tu as vu ce qui a été fait à mes collègues devant la gare ? "

Oh mein Gott. Ich hasse meinen chef sowieso und heute ist ein besonderer Tag, oder? Hast du gesehen, was mit meinen Kollegen vor dem Bahnhof gemacht wurde?

 

Ein Schaffner pfiff die Abfahrt des Zuges an.

 

"La Sncf peut aller se faire foutre. Montez dedans! Allez, allez!"

Die SNCF kann mich mal. Steigen sie ein. Machen sie schnell. (Dies ist eine nette Übersetzung.) 

 

So fuhr ich, eingeklemmt zwischen Fahrrad und Gepäck, auf dem Notsitz eines TGV's nach Bordeaux. Das Rad verstopfte den Gang, sodass niemand mehr zwischen den einzelnen Wagons hin und her konnte. Der nette Schaffner erklärte mir die Brandschutzbestimmungen. Ein netter Versuch.

Dann ging er los um Fahrkarten zu kontrollieren und sagte mir und seinem Kollegen, meine Fahrkarte würde er später abrechnen. Ich sah ihn nie wieder.

 

Und in Marseille?

 

Um noch einmal zur Demonstration am internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen in Marseille zurückzukehren:

Es war eine sehr schöne, angenehme und friedliche Demonstration. So weit sich dies in Bezug auf den Demonstrationsgrund in diesen Worten ausformulieren lässt.

 

Wir trafen uns am alten Hafen und liefen ca. eine Stunde durch verschiedene Viertel. Es war spannend, die Sprechchöre auf französisch zu hören. Das Ende war am Palais-de-Justice mit Gesang und einem kleinen Feuerwerk. Später setzten wir uns in eine Kneipe am Cours Julien und resümierten den Abend.

Der Cours Julien ist ein außerordentlich hübscher Platz in Marseille, mit vielen Bars, Kneipen, Konzertschuppen, einem Kino und Restaurants. Perfekt für den Feierabend.